Archäologische Spuren der Vergangenheit: Steinzeit und Bronzezeit
1. Nacheiszeitliche Jäger und Sammler trotzen dem Klimawandel - Geschossspitzen, Kratzer und Klingen aus Hornstein (Lenglingen)
Seit 11 000 v. Chr. führten massiv ansteigende Temperaturen zum Rückzug der gewaltigen, bis nach Oberschwaben vorgedrungenen Eiszeitgletscher in die Alpen. In den eiszeitlichen Tundren, zu denen damals auch die Schwäbische Alb und das Voralbgebiet mit dem Filstal gehörten, entwickelte sich unglaublich schnell wieder eine artenreiche Waldvegetation. Einer Pionierbewaldung mit Kiefern-, Birken-, Weiden- und Haselnussbeständen folgten seit dem 7. vorchristlichen Jahrtausend ausgedehnte Eichenmischwälder. Viele der kälteliebenden Tierarten - darunter auch Mammute, Wollnashörner, Wildpferde und Rentiere - starben aus oder wanderten nach Norden ab. In den Wäldern wurde eine artenreiche Fauna mit Rot- und Schwarzwild, Auerochsen, Elchen, Braunbären, Wölfen, Füchsen, Bibern und zahlreichen Vögeln heimisch.
Auf diese gravierenden Veränderungen ihrer Umwelt reagierten die Jäger und Sammler der Mittelsteinzeit (Mesolithikum) mit neuen Gerätetechnologien und innovativen Jagdmethoden. An die Stelle der Großwild- und Herdenjagd in der offenen Tundra trat nun die Pirsch auf Standwild und die Jagd auf Vögel. Ausgedehnte Schmelzwasserseen, Flüsse und Bäche lieferten Fische, Muscheln und Krebse in Hülle und Fülle. Pfeil und Bogen sowie Harpunen waren jetzt die wichtigsten Waffen der Waldjäger. Pfeil-, Lanzen- und Harpunenspitzen wurden mit Widerhaken aus winzig kleinen Feuersteindreiecken bestückt. Speziell für die Vogeljagd versah man die Pfeile mit steinernen Querschneidern in Trapezform. Zur Herstellung von Harpunen und Fischspeeren fanden auch Geweihe und Knochen der erlegten Tiere Verwendung. Erstmals begleiteten domestizierte Hunde die Jagdgruppen. Nüsse, Beeren, Obst, Wildgemüse, Pilze und Honig ergänzten das Nahrungsangebot. Ausgegrabene Röstplätze mit angebrannten Haselnussschalen beweisen, dass man nun erstmals auch damit begonnen hatte, Lebensmittel für die Vorratshaltung zu konservieren.
Auf den Hochterrassen der Fils, auf den Anhöhen entlang der Seitentälchen, am Albtrauf und im Schurwald wurden zahlreiche Freilandstationen entdeckt. Sie beweisen, dass es in den nacheiszeitlichen Wäldern auf dem Gebiet des heutigen Landkreises Göppingen rege Aktivitäten der mittelsteinzeitlichen Jäger und Sammler gab. Kleine Jagdgruppen durchquerten in jahreszeitlichem Rhythmus ihre Reviere. Dabei bezog man immer wieder die gleichen Jagdstützpunkte. In der Regel waren dies Zeltlager, die denen der nordamerikanischen Indianer glichen. Hin und wieder suchte man aber auch günstig gelegene Felsüberhänge und Höhlen auf. Typische „Mikrolithen“, zu denen Pfeilspitzen, Kratzer und Klingen gehören, fanden sich in mittelsteinzeitlichen Lagerplätzen auf den Gemarkungen der Göppinger Ortsteile Holzhausen, Sparwiesen und Lenglingen sowie in der Umgebung von Wäschenbeuren, Gingen und Donzdorf. Materialanalysen machen deutlich, dass die mittelsteinzeitlichen Jäger zur Herstellung ihrer Geräte und Waffen vor allem auf Jura- und Muschelkalkhornsteine der Schwäbischen Alb und des Albvorlands zurückgriffen. Die Beschaffung von Steinmaterialien aus dem Schwarzwald, aus dem Rheintal und aus Oberschwaben belegen eine große Mobilität der nacheiszeitlichen Wildbeuter. Die Funde südalpiner Feuersteine weisen darauf hin, dass viele Alpenpassagen bereits Jahrtausende vor Ötzi intensiv genutzt wurden. Mittelsteinzeitliche Sommerjagdlager in Höhen von mehr als 2500 m sind im inneralpinen Raum inzwischen vielfach bekannt.
2. Revolutionäre Steinzeit-Innovationen aus dem Vorderen Orient - Flachhacke der Bandkeramischen Kultur (Gingen an der Fils)
Seit dem 10. vorchristlichen Jahrtausend vollzog sich in vorderasiatischen Raum ein geradezu revolutionärer Wandel von der herumschweifenden zur sesshaften Lebensform des Menschen. Alles begann im „Fruchtbaren Halbmond“, der die Regionen des nördlichen Irak und des iranischen Zagros-Gebirges sowie auch Gebiete Syriens, Palästinas, Israels und der Türkei umfasst. Hier waren nicht nur die Ahnen unserer heutigen Schafe, Ziegen und Rinder zuhause, sondern auch die Urpflanzen von Emmer, Einkorn und Gerste. Die Domestikation von Wildtieren und Pflanzen ermöglichte es den Menschen, Siedlungen mit festen Häusern zu errichten und Vorräte für den Winter anzulegen. Eine weitere bahnbrechende Innovation war dann um 7000 v. Chr. die Produktion gebrannter Tongefäße. In der Folgezeit verbreitete sich das vielfältige Knowhow zu einer nachhaltigen Sesshaftigkeit in Verbindung mit Ackerbau und Viehzucht über Anatolien und Griechenland zunächst bis auf den Balkan und an die adriatischen Küstenregionen.
Über lange Zeit wurde in der archäologischen Steinzeitforschung konträr darüber diskutiert, auf welchem Weg diese die damalige Welt vollständig verändernden Innovationen um die Mitte des 6. vorchristlichen Jahrtausends schließlich auch Mittel- und Osteuropa erreichten. Wurden die alteingesessenen Jäger und Sammler der Nacheizeit durch die Übernahme des entsprechenden Knowhows zu Trägern einer ersten sesshaften Bauernkultur nördlich der Alpen oder gab es womöglich umfangreiche Zuwanderungen? Die paläogenetische Forschung hat in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass diese archäologische Fragestellung nun zweifelsfrei beantwortet werden kann. Es waren Einwanderer vom Balkan, die in Mitteleuropa und somit auch in Süddeutschland die Kultur der Bandkeramik begründeten. Genetisch lassen sich diese in mehreren Wellen und über viele Zwischenstationen erfolgte Wanderbewegungen jedoch bis nach Südwestasien zurückverfolgen. Einige Prozente des Genoms der ersten sesshaften Bauern Mitteleuropas stammt jedoch von einheimischen Jägern und Sammlern. Das Aufeinandertreffen von Wildbeutern und Ackerbauern vollzog sich keinesfalls konfliktfrei, mittelfristig scheint es jedoch einen Konsens beider Wirtschafts- und Lebensformen gegeben zu haben.
Die namensgebenden Elemente für die mitteleuropäische Kultur der Bandkeramik sind die kunstvollen bandförmigen Ziermotive auf der rundbodigen Tonware. Weitere Merkmale der frühen Jungsteinzeit sind fein geschliffene Werkzeuge und Waffen aus Felsgestein, ein vielfältiges Sortiment an Gerätschaften aus Feuerstein und mit der Zeit immer größer werdende Dörfer mit Langhäusern, Speicherbauten und Wehranlagen. Auf den Feldern wurden Emmer, Einkorn, Gerste, Zwergweizen, Erbsen, Linsen, Mohn und Lein angebaut. Haustiere waren Schafe, Ziegen, Rinder, Schweine und Hunde. In der Regel legte man die Friedhöfe außerhalb der Siedlungen an. Die Verstorbenen wurden in seitlicher Hockposition beigesetzt und zumeist geschlechtsspezifisch mit Waffen, Werkzeugen, Schmuck und Trachtbestandteilen sowie mit Speisebeigaben für das Jenseits ausgestattet.
Im südwestdeutschen Raum konzentrieren sich die bandkeramischen Siedlungsgebiete vor allem auf die fruchtbaren Lössflächen der Gäulandschaften. Während sich auf den Lössböden der Fildern noch Siedlung an Siedlung reiht, sind im Landkreis Göppingen bis heute nur ganz wenige Funde aus dem frühen Abschnitt der Jungsteinzeit bekannt. Die Gründe für dieses Phänomen sind vielfältiger Natur und stellen ein dringendes Forschungsdesiderat der Kreisarchäologie dar. Bandkeramische Tonware als unverkennbarer Siedlungsanzeiger konnte bisher noch nicht geborgen werden. Allein aus Böhmenkirch, Holzhausen, Donzdorf und Sparwiesen kennen wir typische dechselförmige Steinbeile der Bandkeramiker.
So war es dann durchaus eine Sensation, als bei Geländearbeiten der Kreisarchäologie auf Gingener Gemarkung im Dezember 2022 erstmals einzelne Scherben von Gefäßen der bandkeramischen Kultur und das Fragment einer Flachhacke zutage traten. Diese wurde zunächst aus einem grünen Amphibolit herausgesägt, anschließend geschliffen und auf Hochglanz poliert. Das Rohmaterial importierte man entweder aus dem Schwarzwald oder aus dem Alpenraum. Solche Flachhacken kamen bei der Holzbearbeitung zum Einsatz. Ihre Blätter waren quer zum Stil gerichtet und wie ein Beil geschäftet.
In der Übergangszeit vom 6. zum 5. vorchristlichen Jahrtausend wurde die Kultur der Bandkeramik auch in Südwestdeutschland durch den Kulturenkomplex Hinkelstein, Großgartach und Rössen abgelöst. Ihr Ende war geprägt durch eine Ressourcenverknappung, gesellschaftliche Konflikte und Kämpfe um das aufgrund einer Überbevölkerung immer knapper werdende Kulturland. Während der späteren Phasen der Jungsteinzeit veränderte sich die Siedlungstopografie im Landkreis Göppingen grundlegend. Zwischen 4400 und 2300 v. Chr. wurde die Besiedlung an der Fils und am Albtrauf nämlich immer dichter. Geräte aus Hornstein, Geweih und Knochen sowie Steinbeile und Tonscherben gehören zu den typischen Spuren, die kleine Ansiedlungen der Schussenrieder Kultur und der Michelsberger Kultur hinterlassen haben. Für diese Zeit typische Höhensiedlungen wurden auf dem Waldenbühl, auf dem Messelstein, auf dem Grünenberg und auf dem Dreimännersitz lokalisiert. In einer Nische der Papierfelshöhle fand sich eine Bestattung, die anhand einer beigegebenen Blattspitze in die ausgehende Jungsteinzeit datiert werden kann. Es ist dies nicht allein die Zeit der Erfindung von Rad und Wagen, sondern auch der Experimente mit gediegenem und geschmolzenem Kupfer. Zur Ausrüstung von „Ötzi“, der am Ende des 4. vorchristlichen Jahrhunderts lebte, gehörten nicht nur Gegenstände aus Stein und Knochen, sondern auch ein Kupferbeil.
Weiterführende Literatur
Reinhard Rademacher, Michael Weidenbacher, Kelten und mehr – Archäologische Erkundungen im Filstal zwischen Gingen und Süßen, Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2023, S. 142-146
3. Bruchstücke tönerner Mondhörner - Zeugnisse eines rätselhaften Bronzezeitkults im oberen Filstal (Mühlhausen im Täle)
In der Zeit vom 13. bis zum 8. vorchristlichen Jahrhundert verbrannte man die Verstorbenen in ganz Mitteleuropa auf dem Scheiterhaufen. Die Asche wurde anschießend in Tongefäßen zusammen mit geschlechtsspezifischen Beigaben in Flachgräbern beigesetzt. Welchen Glaubensvorstellungen dieser Bestattungsritus zugrunde liegt, bleibt weitgehend im Dunklen. Möglicherweise waren es die gleichen Beweggründe, wie sie von dem griechischen Dichter Homer im 8. vorchristlichen Jahrhundert anlässlich der Verbrennung und Bestattung des vor Troja gefallenen griechischen Helden Patroklos angeführt wurden. Es war dafür zu sorgen, dass die Toten das Jenseits standesgemäß erreichten – also versehen mit ihrer Tracht-, Schmuck- und Waffenausstattung.
Archäologisch lassen sich die Kultäußerungen der spätbronzezeitlichen Urnenfelderkultur nur ansatzweise fassen. Wie Funde aus dem Alpenraum zeigen, brachte man den Göttern auf markanten Berggipfeln wie dem 2500 m hohen Schlern in Südtirol Brandopfer dar. Immer wieder finden sich modellhafte Miniaturkultwagen mit Kesseln und kleinen Vögeln aus Bronze oder auch nur kleine Bronzerädchen, die vielleicht von einer zeremoniellen Fahrt in eine Anderswelt und zu den Göttern zeugen.
Im Kult der Urnenfelderkultur spielten auch symmetrisch aufgebaute Mondhörner aus Ton mit waagrechten Standflächen und plastischen Verzierungen eine besondere Rolle. Die Verbreitung dieser bis zu 80 cm langen Kultobjekte reicht von Ostfrankreich bis Westungarn und vom Harz bis zu den Alpen. Allem Anschein nach wurden sie im Rahmen von kultischen Zeremonien vorsätzlich in Stücke zerbrochen. Anschließend erfolgte eine Deponierung in abgesonderten Siedlungsgruben sowie im Bereich naturheiliger Plätze wie Höhlen und Bergkuppen. Vielleicht weihte man sie am Ende einer jahreszeitlichen Vegetationsperiode den Ahnen- und Erdgottheiten. Besonders kleine Exemplare wurden auch in Gräbern als Beigaben mit Symbolcharakter angetroffen. Die in vielen urgeschichtlichen Kulturen auftretenden Sinnbilder des Sichelmonds und des Rinderhorns finden sich in den Mondhörnern vereinigt. Vieles spricht dafür, dass sie Lebenskraft und zyklische Erneuerung verdeutlichen sollten.
Im Vorfeld eines großen Bauvorhabens führte die Kreisarchäologie Göppingen in der Flur „Sänder“ bei Mühlhausen im Täle im oberen Filstal 2017 umfangreiche Untersuchungen durch. Dabei wurden in zwei Metern Tiefe Siedlungsreste der Urnenfelderkultur entdeckt. Der eigentliche Siedlungsplatz befand sich an einer bisher noch nicht lokalisierten Stelle am südlichen Talrand. Ein katastrophales Hochwasserereignis hatte einst zur Zerstörung der Siedlung geführt. Das abgetragene Siedlungsmaterial wurde in einen Altarm der Fils geschwemmt. Dieser wurde durch später folgende Murenabgänge vollständig mit Hangschutt überdeckt. Neben der typischen handgemachten Keramik aus der Zeit zwischen 1000 bis 800 n. Chr. konnten auch mehrere Bruchstücke von Mondhörnern geborgen werden. Sie bestehen aus oxidierend rot gebranntem Ton und haben eine fein geglättete Oberfläche. Auf ihren Schauseiten sind plastische Tonleisten fixiert, in die mit Hilfe der Fingerkuppen dicht aufeinander folgende Dellen gedrückt wurden. Ein weiteres Verzierungselement sind Reihen aus Fingerkuppendellen mit deutlich erkennbaren Eindrücken der Fingernägel. Die Funde der Mondhörner aus Mühlhausen sind die ersten Belege für die Ausübung des spätbronzezeitlichen Kults im Landkreis Göppingen. Nicht weit vom Fundplatz entfernt erhebt sich der Bad Ditzenbacher Schlossberg mit der Ruine der Hiltenburg. Hier konnte die Kreisarchäologie einen lokalen Herrensitz der Urnenfelderkultur nachweisen.
Weiterführende Literatur
Reinhard Rademacher, Aus den Tiefen der Talaue – Siedlungsreste ur- und frühgeschichtlicher Zeit im „Sänder“ bei Mühlhausen im Täle, Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2017, S. 114-116





