Im April erlaubten die offiziellen Pläne einen Blick auf den als Endhaltepunkt der ehemaligen Nebenbahn ab Geislingen dienenden alten Bahnhof in Wiesensteig.
Der Bahnhof Wiesensteig um 1907 (Bestand S 11 Nr. 669)
Begeistert hatte man sie vor 120 Jahren bei der Einweihung gefeiert – die Nebenbahn von Geislingen bis Wiesensteig. Erste Anstrengungen für einen Bau reichten bis in die 1860er/1870er Jahre zurück, konkrete Eingaben an die württembergische Eisenbahndirektion erfolgten aber erst 1885. Zunächst plante man mit der kostengünstigeren Variante einer Schmalspurbahn, die mit einer speziellen Vorrichtung an die Normalspur der Zentralbahn angeschlossen werden sollte. Eine Denkschrift an die württembergische Regierung brachte 1897 den Durchbruch für die Genehmigung. Zur Vertragsunterzeichnung zwischen den Gemeinden und der Eisenbahndirektion kam es am 6. Dezember 1899. Allerdings konnte die Schmalspurvariante 1901 noch in eine Normalspurbahn umgewandelt werden.
Ab Anfang 1902 begannen die Bauarbeiten, bis auf Gosbach und Reichenbach im Täle erhielten die Gemeinden an der Strecke Varianten der württembergischen Einheitsbahnhöfe. Bei der Eröffnungsfahrt am 20. Oktober 1903 wurde der Festzug mit dem württembergischen Außenminister Julius von Soden an jeder Station freudig empfangen und kehrte nachmittags für ein Festmahl nach Geislingen zurück.
Plan des Bahnhofsgebäudes in Wiesensteig von 1901/1902 (Bestand B 5 Nr. 4718)
Die Industrialisierung des oberen Filstals entwickelte sich zwar nicht ganz im erhofften Ausmaß, doch als Pendelzug für Geislingens Fabriken sowie für Schulkinder und Lehrlinge besaß der Zug über Jahrzehnte eine große Bedeutung. Zum Einsatz kamen Tenderloks der Baureihe T 3, 1921 erhielt die Bahn stärkere Lokomotiven. Laut Fahrplan dauerte damals die Gesamtfahrt von Wiesensteig nach Geislingen eine Stunde und 17 Minuten. 1955 lösten Dieselloks die dampfbetriebenen Vorgänger ab, die Holzwagen erhielten Nachfolger aus Stahl. Jedoch waren die Gleisanlagen veraltet und die Deutsche Bahn ließ Mitte der 1960er Jahre die Rentabilität der Strecke überprüfen. Wie den anderen Nebenbahnen drohte die Stilllegung, denn der Güterverkehr war gering und die Fahrgastzahlen durch Konkurrenz von Omnibussen und Privatautos rückläufig. Die Fahrzeit zwischen Geislingen und Wiesensteig betrug zur damaligen Zeit noch eine knappe Dreiviertelstunde. Trotz politischer Bemühungen, baulichen Ausbesserungen und periodischen Fahrplanreduzierungen kam es auf den 31.12.1968 zur ersten Teilstilllegung: dem Ende des zuletzt mit Schienenbussen betriebenen Personenverkehrs von Deggingen nach Wiesensteig, gefolgt vom finalen Aus der Strecke 1980/1981 sowie dem Abriss der meisten Bahnhöfe, darunter des einstigen Endbahnhofs Wiesensteig.
5. Mode und Identität vor 200 Jahren
Im Mai standen Gesellschaft und Mode zur Zeit der einsetzenden industriellen Revolution im Vordergrund.
Blick auf Göppingen aus südlicher Richtung, Louis Rachel, 1872 (Bestand S 18 Nr. 8)
Die Anfang der 1840er Jahre vom königlich württembergischen Statistisch-Topographischen Bureau veröffentlichten Beschreibungen der Oberämter Geislingen (1842) und Göppingen (1844) gewähren einen guten Blick auf die damaligen Lebensverhältnisse der Menschen an Alb und Fils. Demnach lebten 1841 laut den amtlichen Bevölkerungslisten 34.004 Menschen im Oberamt Göppingen und 26.148 im Oberamt Geislingen, darunter jeweils knapp 6% mehr Frauen als Männer. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag – auch aufgrund der damals noch hohen Kindersterblichkeit – bei 47 (m) bzw. 48 (w) Jahren. Die Musterungen zeigten eine Durchschnittsgröße der jungen Männer von 5 Schuh 8,45 Zoll „nach württembergischem Maß“, was 167,44 cm entspricht. Beschrieben werden auch das Wesen der Leute und die regionale Tracht: Demnach „sind Gutmüthigkeit und Gefälligkeit fast allgemeiner Charakterzug.“ Die Einwohner seien „nicht besonders streitsüchtig“ und „fleißige Kirchgänger, noch fleißiger aber im Besuch der Wirthshäuser“.
"Aus dem Oberamt Göppingen", Carl Alexander Heideloff, um 1824 und "Femme de Göppingen", Karl Girardet & Armand-Joseph Lallemand, um 1860 (Bestand S 18 Nr. 180 & 236)
„Die Kleidung besteht bei den Männern aus Röcken und Wämsern von Trilch, welcher bei den Protestanten meist schwarz, bei den Katholiken häufig blau gefärbt ist, mit weißem Flanell gefüttert, aus schwarzer oder rother Weste, woran Metallknöpfe, ferner aus schwarz ledernen Beinkleidern, Stiefeln und dreieckigtem Hute, an welchem jedoch eine Krempe unaufgeschlagen bleibt, oder Pelzkappe mit Fischotterbräm. Hiezu kommt bei kaltem und nassem Wetter ein tuchener Mantel. Das weibliche Geschlecht trägt schwarze Mieder, grüne oder rothe tuchene Röcke, weiße Schürzen und Strümpfe.In der ehemaligen Herrschaft Wiesensteig ist namentlich in Mühlhausen und Gosbach die Sonntagstracht der ledigen Mädchen äußerst niedlich. Der bunte, meist blaue Faltenrock, die weiße Schürze, das farbige Mieder und die schneeweisen Hemdärmel und Strümpfe, die 2, mit Bändern durchflochtenen Zöpfe, welche vom blosen Kopf herabhängen, stehen den frischen, gesunden Gesichtern recht gut. Der Haarputz des weiblichen Geschlechts besteht bei den Katholiken aus Nesterhauben (die kostbare baierische Haube von Gold und Silber mit 2 Schwänzen im Nacken wird immer seltener), bei den Protestanten aus leichten Häubchen, an welchen Verheirathete […] schwarze Bänder, Jungfrauen rothe tragen. In der ehemaligen Herrschaft Wiesensteig tragen sich im Hauptorte Wiesensteig die Männer und Weiber städtisch, desgleichen die Männer in Deggingen.“
6. Historische Stadtansichten Göppingens und Geislingens
Im Juni lag das Augenmerk auf den alten Amtsstädten Göppingen und Geislingen in der Zeit um das Jahr 1700.
Ansicht der Amtsstadt Göppingen um 1700, Johann Stridbeck d. J., nach Vorlage von Matthäus Merian (Bestand S 18 Nr. 13)
Während der Frühen Neuzeit von etwa 1500 bis 1800 verfügten auf dem Gebiet des heutigen Landkreises Göppingen nur die württembergische Oberamtsstadt Göppingen, das zur Landesherrschaft der Reichsstadt Ulm gehörende Geislingen, die helfensteinische und später bayerische Stadt Wiesensteig sowie die rechbergischen Zwergstädtchen Weißenstein und Rechberghausen über Stadtstatus. Göppingen war dabei mit rund 4000 Einwohnern im Jahr 1800 die mit Abstand größte Stadt im Filstal, alle anderen lagen deutlich unter 2000. Erst die Industrialisierung würde vor allem ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem massiven Bevölkerungswachstum führen.
Die ersten bildlichen Darstellungen von Orten des Kreisgebiets stammen aus dem 16. Jahrhundert, beispielsweise aus dem bekannten „Filstalpanorama“ von 1535. Die hier gezeigten Ansichten der Städte Göppingen und Geislingen basieren auf den grafischen Arbeiten von Matthäus Merian (1593-1650), der diese 1643 in seiner berühmten „Cosmographia Sueviae“ veröffentlichte. Mit kleineren Variationen und teilweise fantasievollen Ergänzungen wurden diese im Zeithorizont des 30-jährigen Krieges entstandenen Bilder als Einzelblätter im Verlauf des 18. Jahrhunderts mehrfach neu gedruckt. Sie zeigen die Städte noch im Ring ihrer Befestigungsanlagen, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts abgebrochen wurden. Im Sinne einer kompakten Darstellung komprimierten die Künstler die Stadtansichten und hoben die markanten Gebäude besonders hervor.
Im Falle Göppingens, das von Norden und horizontal stark verkürzt gezeigt wird, bilden das Schloss und die 1618 erbaute Stadtkirche den Mittelpunkt. Links sieht man außerhalb der Stadtmauer die Oberhofenkirche, rechts das Stadttor mit seinem hohen Turm und der Vorstadt in Richtung Westen.
Ansicht der Amtsstadt Geislingen um 1700, Johann Stridbeck d. J., nach Vorlage von Matthäus Merian (Bestand S 18 Nr. 14)
Am hier gezeigten Beispiel Geislingens sind die Stadtbefestigungen sehr gut zu erkennen, im Zentrum steht die spätgotische Stadtkirche, links bilden der riesige, heute als „Alter Bau“ (Stadtmuseum) bezeichnete Kornspeicher, der „Mäusturm“ sowie die Spitalkirche einen Abschluss, rechts das „Obere Tor“. Die nach ihrer Eroberung 1552 abgebrochene Festung Helfenstein wurde erst Anfang der 1930er Jahre wieder als Ruine rekonstruiert, nur der Ödenturm wacht über das Städtchen.