Archäologische Spuren der Vergangenheit: Moderne
Das Schicksal der „Wenatchee Special“ – Kriegsarchäologie im Landkreis Göppingen (Geislingen-Weiler ob Helfenstein)
Historisch bedeutsame Relikte aus den beiden großen Weltkriegen des 20. Jahrhunderts werden durch die Bodendenkmalpflege vor illegalen Eingriffen geschützt. Im Landkreis Göppingen registriert und überwacht die Kreisarchäologie alle noch im Gelände erhaltenen Kriegsanlagen und auch bekannte Absturzstellen von Kampfflugzeugen.
Im Auftrag der Kreisarchäologie Göppingen führte der ehrenamtliche Mitarbeiter Peter Lindenthal auf der Gemarkung von Weiler ob Helfenstein Geländebegehungen durch. Dabei stieß er auf Wrackteile und Bordmunition einer amerikanischen Boeing B-17 Flying Fortress, dem legendären Fernbomber der Amerikaner im 2. Weltkrieg.
Welches Drama sich 1943 bei Weiler abgespielt hatte, lässt sich anhand der Recherchen Peter Lindenthals in Militärarchiven sowie durch die Aussagen von Zeitzeugen rekonstruieren. Am Vormittag des 6. September flogen große alliierte Bomberverbände Angriffe auf Stuttgart. Mit dabei war auch die B-17 „Wenatchee Special“ des in England gestarteten Bombergeschwaders 388 der U.S. Air Force. An Bord waren neben dem Piloten Myron Arthur Bowen noch neun weitere Besatzungsmitglieder. Unmittelbar nach den Bombenabwürfen wurde die Maschine von einem deutschen Nachjäger angegriffen. Major Wolfgang Thimmig hatte sich dem Feindflugzeug mit seiner zweimotorigen Messerschmitt Bf 110 bis auf 200 m von hinten genähert und mehrere Feuerstöße aus den Bordkanonen abgegeben. Die beiden rechten Motoren der Fliegenden Festung gerieten sofort in Brand und im mehrfach getroffenen Rumpf wurde der Bordingenieur und Turmschütze David Earl Wiesner tödlich verletzt. Der amerikanische Pilot flog seine schwer beschädigte Maschine Richtung Schweiz, in der Hoffnung, dort notlanden zu können. Nach zwei weiteren Angriffen des selbst mehrfach getroffenen deutschen Nachtjägers sprangen acht Besatzungsmitglieder der Flying Fortress bei Ulm mit dem Fallschirm ab. Major Thimmig brachte seine kaum noch flugfähige Maschine, zu deren Besatzung auch die Oberfeldwebel Steckemetz und Stiegler gehörten, auf dem Echterdinger Flugplatz mit einer Bauchlandung auf den Boden zurück.
Der Funker Joseph Harrison Redmond hatte allerdings Probleme mit seinem Fallschirm und konnte daher die B-17 nicht verlassen. Offenbar selbst fliegerisch versiert gelang es ihm, das brennende Flugzeug alleine von Ulm bis Weiler zurückzufliegen und dort auf einer Wiese zu landen. Dabei hatte er jedoch einen Erdwall übersehen, so dass die Maschine hart aufschlug und im vorderen Teil auseinanderbrach. Der mutige Funker wurde mit dem Kopf gegen die Cockpitscheibe geschleudert, von herbeigeeilten Bauern geborgen und durch einen Arzt medizinisch versorgt. Bereits einen Tag später erlag Redmond seinen schweren Kopfverletzungen im Geislinger Krankenhaus.
Die beiden gefallenen Besatzungsmitglieder der Flying Fortress wurden in Geislingen beigesetzt und nach Kriegsende in die USA überführt. Die abgesprungenen Besatzungsmitglieder gerieten in deutsche Kriegsgefangenschaft. Der Pilot hatte sich bei der Fallschirmlandung einen Fuß gebrochen. Sie wurden im berüchtigten Stammlager Luft III bei Sagan im damals noch deutschen Niederschlesien interniert. Nach dem Ende des Kriegs gelangten alle wieder wohlbehalten in ihre Heimat. Major Thimmig überlebte den Krieg, in dessen Verlauf er 22 Nachtabschüsse zu verzeichnen hatte. Einer von zwei Tagabschüssen war die B-17 mit dem Rufnamen „Wenatchee Special“ von Flying Officer Bowen. 1956 trat er in die neu gegründete Bundeswehr ein und wurde deren erster Militärattaché in Schweden.



