Archäologische Spuren der Vergangenheit: Mittelalter

1. Ein Kentaur aus dem Schlick - Beeindruckendes Aquamanile aus dem Bodenseeraum (Göppingen)

Im historischen Ortskern von Göppingen wiederholt sich seit vielen Jahren ein bedenkliches Abrissszenario, das immer neue Lücken in das klassizistische Stadtbild reißt. So geschehen auch in der Marktstraße 17 und 19. Im Anschluss an die Beseitigung der alten Bausubstanz wurde die Kreisarchäologie dort 2019 im Rahmen der Neubebauung aktiv. Unter einer Planierschicht mit Brandschutt vom großen Stadtbrand von 1782 kam eine gepflasterte Gasse zutage, die im Mittelalter zwischen dem ehemaligen Waschhaus und den Spitalscheunen verlief. Darunter fand sich eine Auffüllschicht aus schwarzem Schlick, der mit unzähligen Zweigen und Ästen durchsetzt war. Aufgrund der Staunässe auf dem unterliegenden Auelehm waren hier auch Holzgefäße, Lederschuhe und Küchenabfälle erhalten geblieben. Eine Vielzahl von Gefäßscherben und Ofenkachelresten macht deutlich, dass diese Planierung im frühen 14. Jahrhundert erfolgte. Mit dieser Maßnahme ist es damals gelungen, innerhalb der aufstrebenden Stadt wertvollen Baugrund nachhaltig trockenzulegen.

Das glasierte Aquamanile aus dem späten 13. Jahrhundert stellt den Kentauren Cheiron aus der griechischen Sagenwelt dar (Foto: Katja Bode)
Das glasierte Aquamanile aus dem späten 13. Jahrhundert stellt den Kentauren Cheiron aus der griechischen Sagenwelt dar (Foto: Katja Bode)

Bei der Freilegung blickte den Archäologen das Antlitz eines bärtigen Mannes mit einer Bekrönung aus dem Schlick entgegen. Es gehört zum vorderen Teil eines tönernen Aquamaniles mit einem braunen Glasurüberzug. Das ursprünglich mit vier Beinen und einem Henkel versehene Gießgefäß ließ sich über eine als Krone ausgebildete Öffnung im Kopfteil befüllen. Die bei solchen Gefäßen übliche Ausgussstutzen im Brustbereich war leider nicht mehr erhalten. Die lebensechte und detaillierte Gestaltung des Gesichts eines älteren Mannes ist bei Keramikaquamanilen in dieser Ausführung einzigartig. Bei dem Göppinger Exemplar handelt es sich um die Darstellung des Kentauren Cheiron aus der antiken griechischen Mythologie. Diesem Pferdemenschen, einem Halbbruder des Göttervaters Zeus, wurden außergewöhnliche geistige, medizinische und musikalische Fähigkeiten zugesprochen. Auch galt er als der Erfinder von Pfeil und Bogen, der von Zeus nach seinem tragischen Tod als Sternbild des Schützen an den Himmel versetzt wurde. Cheiron war aufgrund seiner Weisheit und seines Wissens der Lehrmeister fast aller berühmten Helden wie Achilleus, Odysseus oder Jason aus der antiken Sagenwelt. Im Mittelalter galt Cheiron mit seinen vielfältigen und positiven Eigenschaften dann als Sinnbild für die Ideale des Rittertums - also Jäger, Kämpfer und Minnesänger. Mit seiner Weisheit und dem Sinn für Gerechtigkeit fühlte sich auch der höhere Klerus angesprochen.

Frontalansicht des in der Göppinger Marktstraße gefundenen Aquamanile (Foto: Katja Bode)
Frontalansicht des in der Göppinger Marktstraße gefundenen Aquamanile (Foto: Katja Bode)

Die technische Ausführung und auch die künstlerische Qualität des Göppinger Aquamaniles sprechen für eine Herstellung in der Nordschweiz oder im Konstanzer Bodenseeraum während des späten 13. Jahrhunderts. Von dort gelangte es als hochwertiger und glasurtechnisch innovativer Import nach Göppingen. Hier fehlte zu dieser Zeit noch das Knowhow zur Herstellung glasierter Keramik. Wie der Kreisarchivar Dr. Stefan Lang nachweisen konnte, gab es im fortgeschrittenen 13. und 14. Jahrhundert enge Kontakte der Herren von Staufeneck nach Konstanz. Zu dieser Zeit lenkten sie zusammen mit den Adelberger Chorherren das weltliche und geistliche Geschehen Göppingens. Zweifelsohne ist das Göppinger Aquamanile mit der Darstellung des Cheiron mit diesem erlesenen Personenkreis in Verbindung zu bringen.

Gepflasterte Gasse aus der der Zeit vor dem zweiten Stadtbrand von 1782 (Foto: Kreisarchäologie Göppingen / ArchaeoConnect GmbH)
Gepflasterte Gasse aus der der Zeit vor dem zweiten Stadtbrand von 1782 (Foto: Kreisarchäologie Göppingen / ArchaeoConnect GmbH)

Weiterführende Literatur

Stefan Lang, Reinhard Rademacher, Michael Schmid, Kentaur im Schlick – Archäologische Aufschlüsse beim abgegangenen Spital in Göppingen, Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2019, S. 276-278

Stefan Lang, Ein spätromanisches Keramikaquamanile in Kentaurenform. Zeugnis der lokalen Elitenkultur Göppingens um 1300, Hohenstaufen/Helfenstein. Historisches Jahrbuch für den Kreis Göppingen, Band 20, 2020, S. 9-30

2. Die älteste Tonfliese im Landkreis Göppingen (ehemalige Pfarrkirche St. Otmar, Göppingen-Bartenbach)

Die Tradition des Töpfer- und Zieglerhandwerks reicht im Landkreis Göppingen bis in das späte Mittelalter zurück. Seit dieser Zeit stellte man in spezialisierten Betrieben auch tönerne Bodenfliesen her. Die Auftraggeber waren adelige Burg- und Schlossherren, reiche Stadtbürger und Klöster. Zur Ausstattung repräsentativer Räumlichkeiten und der Kirchen waren glatte und verzierte Fliesen mit zumeist quadratischer Form gefragt. Bei Ausgrabungen in der ehemaligen Pfarrkirche St. Otmar in Bartenbach, einer 12,60 m langen und 9,40 m breiten Saalkirche ohne Chorraum, konnte die Kreisarchäologie Göppingen 2022 eine außergewöhnliche Tonfliese bergen. Mit ihrer Seitenlänge von nur 12,5 cm und einem erhabenen Ziermotiv lässt sie sich dem 13. oder frühen 14. Jahrhundert zuweisen.

Die Tonfliese zeigt ein von einem Spitzoval umgebenes Eichblatt (Foto: Katja Bode)
Die Tonfliese zeigt ein von einem Spitzoval umgebenes Eichblatt (Foto: Katja Bode)

Die Verzierung besteht aus einem Spitzoval, das ein gezacktes Blatt umgibt. Die Ecklösung besteht aus einem Viertelkreis mit Sternsegment. Bei diesem bisher singulären Fliesentyp handelt es sich um die älteste Bodenfliese im Landkreis Göppingen. Die archäologischen Untersuchungen belegten, dass sich der Tonfliesenboden im Bereich des Altars befunden haben muss. Im Kirchenschiff war hingegen ein Stampflehmboden eingebracht. Um 1500 brannte die Kirche ab, aus dieser Zeit konnten quadratischen Tonfliesen mit einer Seitenlänge von 16,5 cm geborgen werden. Nach der Zerstörung der Kirche im Dreißigjährigen Krieg 1634 baute man sie wieder auf. Aus dieser Bauphase stammen wiederum Fliesen mit dem Format 18,5 auf 18,5 cm.

Blick in die ehemalige Pfarrkirche St. Otmar während der Ausgrabungen 2022 (Foto: Kreisarchäologie Göppingen)
Blick in die ehemalige Pfarrkirche St. Otmar während der Ausgrabungen 2022 (Foto: Kreisarchäologie Göppingen)

Weiterführende Literatur

Ausführlich zur Fliese:
Reinhard Rademacher, Eine spätmittelalterliche Tonfliese aus der ehemaligen Pfarrkirche St. Otmar in Göppingen-Bartenbach, Hohenstaufen/Helfenstein. Historisches Jahrbuch für den Kreis Göppingen, Band 21, 2023, S. 403f Zur Grabung:
Reinhard Rademacher, Tilmann Marstaller, Michael Schmid, Archäologische Beobachtungen in der ehemaligen Pfarrkirche St. Otmar in Bartenbach, Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2022, S. 301-305
Reinhard Rademacher, Michael Schmid, Michael Weidenbacher, Isabelle Jasch-Boley, Neue Einblicke in die Baugeschichte der ehemaligen Pfarrkirche St. Otmar in Bartenbach, Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2023, S. 271-273

3. Ein Mittelalterlicher Armbrustbolzen mit Herstellerlogo (Hiltenburg, Bad Ditzenbach)

Seit 2005 werden die Sanierungsarbeiten an den Mauern der Hiltenburg auf dem Schlossberg bei Bad Ditzenbach von der Kreisarchäologie Göppingen fachlich koordiniert und im Gelände begleitet. Im Rahmen der Ausgrabungen kam ein umfangreiches und vielfältiges Fundspektrum aus Keramik, Metallobjekten, Glas und Gegenständen aus Bein zutage. Diese Funde geben aufschlussreiche Einblicke in das Alltagsleben der adeligen Burgbewohner sowie auch in die Strukturen der Wehranlage als wirtschaftliches Zentrum. Die militärische Bedeutung der Hiltenburg dokumentieren zahlreiche Waffen und militärische Ausrüstungsgegenstände. Zu diesen gehören steinerne Katapultkugeln, eine Lanzenspitze, ein Dolch, ein Schwertscheidenortband, mehrere Teile von Plattenpanzern und eine Vielzahl an Pfeileisen und Armbrustbolzen.

Im Rahmen von Detailuntersuchungen an den Metallfunden stießen die Archäologen auf zwei außergewöhnliche Eisenobjekte. Es handelt sich um eine Messerklinge und um einen Armbrustbolzen. Beide Gegenstände sind mit einer Schlagmarke in Form eines doppelt geflügelten Pfeils versehen. Die Markierung auf dem 6 cm langen Geschossbolzen ist eine Sensation. Bisher sind in Europa entsprechend gekennzeichnete Armbrustbolzen nur aus Köln bekannt. Schlagmarken finden sich sonst vor allem auf Messern oder Sicheln. Im Mittelalter galten Herstellermarken als juristisch geschützte Qualitätsmerkmale. Genau wie in unserer heutigen Zeit dienten solche Logos zur Kennzeichnung von hochwertigen und somit auch hochpreisigen Markenprodukten. Derart ausgewiesene Gegenstände waren zumeist für den Export vorgesehen. Im 15. und 16. Jahrhundert waren die Städte Nürnberg, Passau, Schwabach, Solingen und Steyr in Österreich für ihre hochwertige Messerklingenproduktion berühmt. Bereits zur damaligen Zeit hatten die Hersteller ihre liebe Not mit einer weit verbreiteten Produktpiraterie in Form gefälschter Logos. Im frühen 16. Jahrhundert ist in Schwäbisch Gmünd ein Warenschutzprozess urkundlich überliefert. Ein Sensenschmied hatte das Warenzeichen eines Konkurrenten aus Giengen an der Brenz kopiert. Die klagende Partei bekam schließlich nach einer unglaublich langen Prozessdauer von 24 Jahren Recht. In Nürnberg wurden im großen Stil Messerklingen mit gefälschten Herstellerzeichen versehen und anschließend verkauft.

Eiserner Armbrustbolzen mit Schlagmarke in Pfeilform (Foto: Katja Bode)
Eiserner Armbrustbolzen mit Schlagmarke in Pfeilform (Foto: Katja Bode)

Der eiserne Armbrustbolzen von der Hiltenburg besitzt einen rhombischen Blattquerschnitt und eine gedrungene Gesamtform mit einer kurzen Schafttülle. Er bildete die Spitze eines etwa 40 cm langen gefiederten Geschosses. Solche Formen waren typisch für die Armbrustpfeile in der Zeit vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Diesem Zeithorizont lässt sich auch die Messerklinge zuordnen. Das identische Logo in Form eines Pfeils macht deutlich, dass beide Objekte in der gleichen Werkstatt hergestellt wurden. Normalerweise lag die Fertigung von Messerklingen in der Hand spezialisierter Messerer, während die Produktion von Geschossbolzen Aufgabe der Waffenschmiede war. Seit dem späten 14. Jahrhundert war die Hiltenburg Hauptresidenz und Verwaltungszentrum der Grafen von Helfenstein. Es ist daher naheliegend, dass damals im oberen Filstal ein hoch spezialisierter und gefragter Schmiedebetrieb arbeitete. Die außergewöhnliche Qualität der Produkte und die mit dieser verbundenen Nachfrage veranlasste den Produzenten zur Kennzeichnung seiner Ware durch ein individuelles Logo in Pfeilform. Mit Blick auf WMF und andere Hersteller in unserer Zeit und auf die Präzisionsschmiede des Mittelalters ergibt sich eine Jahrhunderte währende Tradition der metallverarbeitenden Industrie im oberen Filstal.

Weiterführende Literatur

Verschiedene Berichte in den Archäologischen Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2005 bis 2010, 2012, 2014

Michael Weidenbacher, Weit mehr als 1000 Jahre Hiltenburg – Zur Besiedlungsgeschichte des Schlossbergs bei Bad Ditzenbach, Hohenstaufen/Helfenstein. Historisches Jahrbuch für den Kreis Göppingen, Band 18, 2014, S. 293-296

Karlfriedrich Gruber, Die Geschichte der Hiltenburg, Teil 1 und Teil 2, Hohenstaufen/Helfenstein. Historisches Jahrbuch für den Kreis Göppingen, Band 16, 2009, S. 9-112 und Band 18, 2014, S. 25-144

4. Früh übt sich... – Ein spätmittelalterliches Tonwännchen aus Kinderhand (Uhingen)

Im Verlauf des Spätmittelalters und der Neuzeit florierte das Töpfereihandwerk auch im Landkreis Göppingen. Spätestens mit dem Aufkommen der Glasur waren tönerne Behältnisse für Küche und Esstisch als Massenware auch für weniger begüterte Bevölkerungskreise erschwinglich geworden. Im Rahmen einer baubegleitenden Untersuchung konnte die Kreisarchäologie Göppingen 2015 auf dem Anwesen Uhlandstraße 6 in Uhingen die vielfältige Produktpalette einer Töpferei des 15. Jahrhunderts bergen. Die Uhinger Töpfer werden dann 1524 auch im württembergischen Lagerbuch greifbar. Dort wird die lokale Tongewinnung zur Keramikherstellung in „der häfner laingrüb“ erwähnt.

Das von einem Kind geformte Wännchen aus Ton ist ein außergewöhnliches Fundobjekt (Foto: Katja Bode)
Das von einem Kind geformte Wännchen aus Ton ist ein außergewöhnliches Fundobjekt (Foto: Katja Bode)

Insgesamt wurde bei der Ausgrabung gut eine Tonne Keramikbruch geborgen. Unter den scheibengedrehten Gefäßresten sticht ein unscheinbares Tonwännchen hervor. Dieses nur 6 cm lange und 3 cm breite Miniaturgefäß wurde, entgegen der damals gängigen Technik, sehr primitiv von Hand hergestellt. Winzig kleine Fingerabdrücke beweisen, dass dieses in Deutschland bisher einzigartige Fundstück von einem Kind hergestellt wurde. Vermutlich hatte es einen Tonklumpen zum Spielen bekommen und versucht, den in der Töpferei arbeitenden Eltern nachzueifern. Diese deponierten das Wännchen dann zusammen mit der professionell hergestellten Ware im Töpferofen. Es war durchaus üblich, dass in den spätmittelalterlichen Hafnerwerkstätten auch qualifizierte Frauen an den Töpferscheiben arbeiteten.

Weiterführende Literatur

Reinhard Rademacher, Über die Böschung entsorgt – Archäologische Beobachtungen im „Oberdorf“ von Uhingen, Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2015, S. 258-260
Elisa Feltro, Der häfner laingrüb – Spätmittelalterliche Keramikfunde aus Uhingen. Masterarbeit an der Eberhard Karls Universität Tübingen 2022

Kontakt

Dr. Stefan Lang Abteilungsleiter
Dr. Stefan Lang
Abteilungsleiter
Fax +49 7161 50318-19

Michael Weidenbacher, M.A.
Kreisarchäologe

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