Allgemeinverfügung über die Beschränkung von Ansammlungen, privaten Zusammenkünften und privaten Veranstaltungen im Landkreis Göppingen vom 13.04.2021

Amtliche Bekanntmachung Landratsamt Göppingen mit Wappen Baden-Württemberg

Das Landratsamt Göppingen – Gesundheitsamt (im Folgenden Gesundheitsamt) - erlässt nach § 20 Absatz 1 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (Corona-Verordnung –CoronaVO) in Verbindung mit §§ 28 Absatz 1, 28a Absatz1 Nr. 3 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) und § 1 Absatz 6a S. 1 der Verordnung des Sozialministeriums über Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSGZustV BW) folgende
Allgemeinverfügung 
über die Beschränkung von Ansammlungen, privaten Zusammenkünften und privaten Veranstaltungen im Landkreis Göppingen.

I. Abweichend von § 9 Absatz 1 CoronaVO sind Ansammlungen, private Zusammenkünfte und private Veranstaltungen nur gestattet

  1. mit Angehörigen des eigenen Haushalts und
  2. von Angehörigen des eigenen Haushalts und einer weiteren Person, mit insgesamt nicht mehr als fünf Personen; Kinder der jeweiligen Haushalte bis einschließlich 14 Jahre zählen dabei nicht mit; sollte ein Haushalt bereits aus fünf oder mehr Personen über 14 Jahren bestehen, so darf sich auch dieser Haushalt mit einer weiteren nicht dem Haushalt angehörigen Person treffen.

Paare, die nicht zusammenleben, gelten als ein Haushalt.

II. Die Beschränkung gilt entsprechend §9 Absatz 2 CoronaVO nicht für Ansammlungen, die der Aufrechterhaltung des Arbeits Dienst- oder Geschäftsbetriebs, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder der sozialen Fürsorge dienen.

III. Die Allgemeinverfügung tritt am Freitag, 16. April 2021, in Kraft.
 
Die Allgemeinverfügung tritt mit Ablauf des 30. April 2021 außer Kraft. Das Gesundheitsamt kann die Anordnungen zu einem früheren Zeitpunkt aufheben, falls es die Lage zulässt.

Hinweise:

  1. Regelungen anderer einschlägiger Vorschriften werden von dieser Allgemeinverfügung nicht berührt, soweit sie nicht ausdrücklich genannt werden, und sind zu beachten. Hierzu zählt insbesondere die CoronaVO des Landes Baden-Württemberg in ihrer jeweils aktuellen Fassung.
  2. Diese Allgemeinverfügung ist beim Landratsamt Göppingen mit Sitz in Göppingen einsehbar.
  3. Nach § 73 Absatz 1a Nr. 6, Absatz 2 IfSG ist die vorsätzliche oder fahrlässige Zuwiderhandlung einer vollziehbaren Anordnung nach § 28 Absatz 1 S. 1 oder S. 2 IfSG ordnungswidrig und kann mit einer Geldbuße bis zu 25.000 Euro geahndet werden. Diese Allgemeinverfügung stellt gemäß §§ 28 Absatz 1, Absatz 3, 16 Absatz 8 IfSG mit ihrer Bekanntgabe eine solche sofort vollziehbare Anordnung dar.

Widerspruch und Anfechtungsklage haben daher keine aufschiebende Wirkung.

Begründung

I. Sachverhalt

Im Landkreis Göppingen steigt die Zahl an Neuinfektionen mit dem Coronavirus seit einiger Zeit stark an.
Am 7. April 2021 lag die 7-Tage-Inzidenz bei 110,0. Am 9. April lag die 7-Tage-Inzidenz bereits bei 156,5. Stand 12. April 2021 liegt die 7-Tage-Inzidenz bei 209,6. Ein weiterer Anstieg ist zu befürchten.
Das Infektionsgeschehen ist diffus und die Infektionsketten sind teilweise nicht mehr nachvollziehbar. Bei den Neuinfektionen handelt es sich zu einem ganz überwiegenden Teil um die besonders ansteckende und gefährliche Mutation B.1.1.7 des SARS-CoV-2-Virus.
 
Durch das signifikante und mittlerweile seit vier Wochen anhaltende Überschreiten des Schwellenwertes einer 7-Tage-Inzidenz von 100 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner im Landkreis Göppingen liegt ein regional stark erhöhtes Risiko vor, sich mit dem SARS-CoV-2 Virus zu infizieren. Es wurde bereits am 17. März 2021 durch das Gesundheitsamt eine seit drei Tagen bestehende 7-Tage-Inzidenz von mehr als 100 Neuinfektionen mit dem Coronavirus je 100.000 Einwohner festgestellt und ortsüblich bekanntgemacht, wodurch am zweiten darauffolgenden Werktag die sogenannte „Notbremse“ ausgelöst wurde und strengere Regelungen zur Vermeidung von Neuansteckungen in Kraft traten.
 
Dennoch steigt die 7-Tage-Inzidenz weiter an.
 
Daher wird mit dieser Allgemeinverfügung über die Beschränkung von Ansammlungen, privaten Zusammenkünften und privaten Veranstaltungen im Landkreis Göppingen eine weitere Maßnahme ergriffen, um die aktuelle Infektionswelle schnellstmöglich zum Abklingen zu bringen und dadurch eine Überlastung der ambulanten und stationären medizinischen Versorgungssysteme zu verhindern.

II. Rechtliche Würdigung

Rechtsgrundlage für diese Allgemeinverfügung ist § 20 Absatz 1 CoronaVO in Verbindung mit §§ 28 Absatz 1, 28a Absatz 1 Nr. 3 IfSG.
 
Nach § 28 Absatz1 S.1 IfSG trifft die zuständige Behörde im Falle der Feststellung von Erkrankten bzw. Ansteckungsverdächtigen die insbesondere in § 28a Absatz 1 und den §§ 29 –31 IfSG genannten, notwendigen Schutzmaßnahmen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) können gemäß § 28a Absatz 1 Nr. 3 IfSG für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1IfSG durch den Deutschen Bundestag insbesondere Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Bereich sein. Die Maßnahme der Kontaktbeschränkungen im privaten Bereich wurde auch in § 9 Absatz 1 CoronaVO verankert.
 
Nach §1 Absatz 6a S.1 IfSGZustV BW ist das Gesundheitsamt zuständig für den Erlass der getroffenen Allgemeinverfügung.
Das Landesgesundheitsamt hat am 5. März 2021 das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Absatz 6a S. 1 IfSGZustV BW gegenüber dem Gesundheitsamt Göppingen nach § 1 Absatz 6c IfSGZustV BW festgestellt.
 
Von einer Anhörung ist gemäß § 28 Absatz 2 Nr. 4 Landesverwaltungsverfahrensgesetz (LVwVfG) bei einer Allgemeinverfügung nach Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens abgesehen worden.
 
Gemäß § 28 Absatz 1 S. 2 IfSG kann die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider im Sinne des § 2 Nr. 4 bis 7 IfSG festgestellt werden, Schutzmaßnahmen ergreifen, soweit und solange dies zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Der Anwendungsbereich ist eröffnet. Das Virus SARS-CoV-2 hat sich im Landkreis Göppingen bereits weit verbreitet.
 
Im Landkreis Göppingen ist mittlerweile die 7-Tage-Inzidenz von 100 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner deutlich und stabil überschritten. Aufgrund der sich dynamisch entwickelnden Lage mit einem zuletzt exponentiellen Anstieg an Corona-Infektionen sieht das Gesundheitsamt die Notwendigkeit, weitergehende Maßnahmen zur Beeinflussung der Ausbreitungsdynamik zu ergreifen, auch, um besonders vulnerable Gruppen zu schützen.
Das Risiko einer Ansteckung soll durch diese Allgemeinverfügung reduziert werden. Damit soll die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 verlangsamt werden, um das Gesundheitssystem weiterhin leistungsfähig zu halten.
 
Für die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckungsgefahr gilt dabei kein strikter, alle möglichen Fälle gleichermaßen erfassender Maßstab. Vielmehr ist der geltende Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BGH, Urteil v. 22.03.2012, Az. 3 C 16/11).
 
Die Beschränkung von Ansammlungen, privaten Zusammenkünften und privaten Veranstaltungen ist geeignet, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Nach den Erkenntnissen des Gesundheitsamtes findet ein großer Teil der Infektionen derzeit innerhalb von Familien und bei privaten Treffen statt. In diesem Rahmen bestehen im Regelfall keine Hygienekonzepte, es werden oftmals keine Mund-Nasen-Bedeckungen getragen und der Mindestabstand wird zum Teil nicht eingehalten. Daher sind anderweitige Maßnahmen notwendig, um das Infektionsgeschehen in diesem Kontext einzudämmen.
 
Der Hauptübertragungsweg des Coronavirus ist die respiratorische Aufnahme virushaltiger Flüssigkeitspartikel und Aerosole, die beim Atmen, Husten, Sprechen oder Niesen entstehen. Es besteht bei jeder Zusammenkunft mehrerer Personen die potentielle Gefahr einer Ansteckung, insbesondere auch dadurch, dass Personen häufig bereits infiziert und ansteckend sind, ohne hiervon Kenntnis zu haben. Die Gefahr kann durch die ergriffene Maßnahme, die bereits durch die CoronaVO bestehende Schutzmaßnahmen ergänzt, deutlich reduziert werden.
 
Die Maßnahme ist zudem erforderlich, um einen weiteren Anstieg der Infektionszahlen im Landkreis einzudämmen, um so die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens nicht zu gefährden und die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung, insbesondere der vulnerablen Gruppen, abzuwenden. Ein milderes, gleich geeignetes Mittel ist nicht gegeben. Insbesondere hat sich in den vergangenen Wochen gezeigt, dass andere Maßnahmen wie eine Beschränkung auf Treffen von zwei Haushalten mit maximal fünf Personen, wie sie die CoronaVO in § 9 Absatz 1 vorsieht, oder die Ausweitung der Testkapazitäten im Landkreis Göppingen nicht mehr ausreichen, um das Infektionsgeschehen effektiv einzudämmen. Vor allem aufgrund der sich rasant ausbreitenden britischen Mutation B.1.1.7 des SARS-CoV-2-Virus, die eine erhöhte Gefahr von schweren Krankheitsverläufen mit sich bringt und zudem ansteckender ist als die ursprüngliche Form des Virus, sind weitergehende Maßnahmen unerlässlich geworden. Durch die britische Variante des Coronavirus sind nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen auch jüngere Personengruppen stärker gefährdet, sehr schwer an Covid-19 zu erkranken. Diese sind noch nicht im größeren Umfang durch Impfung geschützt.
 
Der mit der verschärften Kontaktreduktion dieser Allgemeinverfügung einhergehende Grundrechtseingriff ist in Ansehung des Infektionsschutzes und der jeweiligen Interessen auch verhältnismäßig im engeren Sinne.
Es wird seitens des Landratsamtes nicht verkannt, dass eine über die CoronaVO hinausgehende Kontaktreduktion ein Eingriff in die grundgesetzlich verankerte allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Absatz 1 GG ist. Angesichts der besorgniserregenden Infektionslage ist dieser jedoch zumutbar. Zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes werden Erleichterungen für Familien bzw. Haushalte mit Kinder unter 14 Jahren und für größere Haushalte sowie für Paare, die nicht zusammenleben, aufgenommen. Auch für größere Familien oder Wohngemeinschaften besteht so weiterhin die Möglichkeit, Besuch zu empfangen. Die Beschränkung gilt auch nicht für Ansammlungen, die der Aufrechterhaltung des Arbeits-, Dienst-oder Geschäftsbetriebs, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder der sozialen Fürsorge dienen. Dadurch werden unbillige Härten im Einzelfall vermieden. Die Allgemeinverfügung ist zudem zeitlich befristet und kann vom Gesundheitsamt vorzeitig aufgehoben werden, wenn es die Lage zulässt. Im Hinblick auf den Anstieg der Fallzahlen, insbesondere mit der gefährlichen Virusmutation, ist der Gesundheitsschutz der Bevölkerung grundsätzlich vorrangig. Bei steigenden Fallzahlen ist auch absehbar, dass die Krankenhäuser schwer an Covid-19 erkrankte Patienten nicht mehr behandeln können und somit eine starke Überlastung des Gesundheitssystems droht. Auch die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems ist vorrangig gegenüber den Einschränkungen durch eine Reduktion von privaten Kontaktsituationen.

Rechtsbehelfsbelehrung

Gegen die Allgemeinverfügung kann innerhalb eines Monats nach ihrer Bekanntgabe Widerspruch bei der zuständigen Behörde erhoben werden. Zuständige Behörde ist das Landratsamt Göppingen mit Sitz in Göppingen.
 
Göppingen, 13. April 2021


Edgar Wolff
Landrat